Nachdem beim letzten mal Kerstin Ihre Geschichte erzählt hat, kommt heute Nancy zu Wort. Vielen Dank auch hier, dass Sie Ihre Geschichte mit uns teilt.
Ich, Nancy, schon über den 30. Geburtstag hinaus, startete 2011 am SPI Thalheim eine 3- jährige Ausbildung zum Sozialassistenten. Im Gepäck hatte ich, neben einem Geburtsjahr, dass doch schon über das des einen oder anderen Mitschülers hinausging, eigenen Haus- und Familienstand samt Mutterrolle, einen Hauptschulabschluss, der eben dazu führte, ein Jahr länger die Schulbank zu drücken. Ganz ehrlich- ich habe recht schnell und ziemlich deutlich gemerkt was es bedeutet, die Anforderungen der Ausbildung mit dem Familienleben zu koppeln und mit dem Startkapital der Hauptschule war es doppelt schwer.
Stöhnten die anderen schon, Lernstoff in die Köpfe zu bekommen und die Vorbereitungen für Arbeiten, Vorträge, Projektaufgaben irgendwie zu meistern- für mich war das manchmal kaum zu bewältigen! Mein Ehrgeiz war groß, alles zu schaffen und dabei auch noch gute Leistungen zu zeigen, aber ich bin ziemlich oft an Grenzen gestoßen- schulisch und privat. Prioritäten setzen- unmöglich, alles war gleich wichtig, wo anfangen, wo aufhören?! Wie oft kamen Zweifel auf, ob man unbedingt nochmal die Schulbank drücken muß statt Geld zu verdienen, ob es nicht einfacher wäre, alles hinzuwerfen und als Hilfskraft zu jobben, und wie schön wäre es einfach mal wieder freie Zeit zu haben ohne jeglichen Druck von allen Seiten, ohne Panik vor der nächsten Klausur.
Andererseits eine neue Perspektive, die an einen entsprechenden Notendurchschnitt auf dem Abschlusszeugnis gekoppelt war und an sich genug Motivation gewesen wäre – der Realschulabschluss! Damit verbunden ganz andere Chancen auf dem Arbeitsmarkt und völlig neue Entwicklungsmöglichkeiten. Aber um welchen Preis? Ich habe es in Angriff genommen, 3 Schritte vor, 2 zurück, an einem Tag Glücksmomente und Stolz, wieder eine Leistungskontrolle recht gut überstanden zu haben , am anderen Tag wieder die Entscheidung Praxisunterlagen zu erstellen oder sich um das kranke Kind zu kümmern- oder beides und dann eben bis in die Nacht hinein! Ich habe in der Klasse einige Mitschüler gehabt, die mich immer wieder aufgerichtet haben und mir zur Seite standen verständnisvolle Lehrer, die forderten und förderten und neben ihrem Unterricht sehr viel Empathie aufbrachten für meine ganz spezielle Situation. Es war ein schweres Unterfangen- aber ich habe mich durchgebissen und wurde letztlich tatsächlich mit dem Realschulabschluss belohnt!
Irgendwann zu Schuljahresende stand auch bei mir die Frage an- wie weiter? Arbeiten gehen und Geld verdienen oder noch einen Schritt weiter und einen Fachabschluss draufsetzen? Was ja neuerlich mit „Entbehrungen an allen Fronten“ verbunden war- wieder Lernen, Hausaufgaben, knappes Zeitlimit für die Familie, wenig Freizeit? Die Lehrer ermutigten mich und haben es mir tatsächlich zugetraut- ich selbst haderte mit einer solchen Entscheidung und fand ständig neue Argumente dafür und dagegen! In diesen Tagen bewährte sich unsere kleine verschworene Klassengemeinschaft und zusammen mit anderen Schülern der „alten“ SAS- Klasse, darunter mehrere ehemalige Hauptschüler, sagte ich schließlich „Ja“ zu weiteren 3 Jahren Ausbildung zum Heilerziehungspfleger, wenngleich mir eines bewusst war- geschenkt wird einem trotz“ Altbestand am SPI“ nichts- und das wollte ich auch nicht, ich wollte beweisen, dass es schaffbar war! Inzwischen gehen auch diese 3 Jahre Ausbildungszeit dem Ende zu, die Prüfungen sind alle überstanden, Gespräche mit möglichen Arbeitgebern laufen. Ob ich das noch einmal genauso entscheiden würde, 6 Jahre Ausbildung unter all den Umständen, Höhen und Tiefen von Schule, Praktika und Familie- fragt mich das in ein paar Monaten noch einmal, aktuell bin ich einfach nur froh und stolz auf mich und möchte „Danke“ sagen- allen, die mir das ermöglicht haben und an mich geglaubt haben!
Die dritte und vorerst letzte Geschichte gibt es am Montag. Dann kommt Claudia zu Wort.